DAS ARTE MAGAZIN IM APRIL

Bruno Maccallini
DAS ARTE MAGAZIN 4.2016:
Isch ‘abe eine Vespa
Eine Hommage an den Zweitakter zum 70. Geburtstag

<<EINE VESPA VERSETZT SICH INS GEMÜT IHRES BESITZERS>>

Nach Ende des Zweiten
Weltkriegs wurde schnell
ein Gefährt gebraucht, das
einfach zu produzieren
und kostengünstig war,
sich auch selbst reparieren ließ und
gleichzeitig dem wieder aufkeimenden
Gefühl von Unabhängigkeit entsprach.
Die Firma Piaggio landete einen Volltreffer
mit ihrer Vespa. Und wer hätte
damals gedacht, dass bald schon ein
Siegeszug zuerst durch Europa und
dann um die ganze Welt beginnen
sollte
– der bis heute anhält.

LIEBE IM ZWEITAKT
Eine Vespa kann sich augenblicklich in
das Gemüt ihres Besitzers versetzen, ja
mit ihm verschmelzen. Sie rast, wenn
man es morgens eilig hat, ohne zu zögern
zwischen den im Stau stehenden
Autos hindurch. Wenn man dringend
noch vor Ladenschluss eine wichtige
Besorgung machen muss, windet sie
sich mit röhrendem Motor immer und
überall durch die kleinste Lücke und
bahnt sich ihren Weg.
Das Schöne an der Vespa ist ihre
Wendigkeit. Sie ist weitaus mehr als
nur ein Mittel, sich von Verkehrs- und
Parkplatzproblemen unabhängig zu
machen. Und wenn man sich kurz entspannen
will und die Hand am Gasgriff
lockert, gluckst sie heiter weiter mit
ihrem unregelmäßigen Zweitakter und
lächelt einem von ihrem gerundeten
Mini-Armaturenbrett aus zu.
Natürlich fährt man heute nicht
mehr ohne Integralhelm. Er schenkt
Privatsphäre, denn hinter dem Visier
kann es völlig egal sein, ob man frisiert
oder rasiert ist, ob man den Gedanken
an die letzte Nacht nachhängt, ob man
lächelt, weint, Selbstgespräche führt
oder den Limousinenfahrer neben
sich zum Teufel wünscht. Auf einer
Vespa kann man tun und lassen, was
man will: Die treue Freundin bringt
ihren Fahrer überhall hin. Während im
Auto nur in schnellen, engen Kurven
der wirkliche Fahrspaß aufkommt,
kann man auf einer Vespa immer sanft
nach links oder rechts schaukeln und
beschwingt in seinen angenehmen
Gedanken versinken.Als in den 1950er Jahren die ersten Touristen
aus Deutschland nach Italien kamen
und den Campingurlaub
am Meer
für sich entdeckten, gehörte es dazu,
sich eine Vespa zu mieten und das bis
dahin unbekannte Gefühl von Freiheit
zu genießen. Der fahrbare Untersatz
animierte dazu, die Küsten entlang
zu cruisen – mit im Wind flatternden
Haaren, in Shorts und Strandschuhen,
die angeschmiegte Freundin auf dem
Sozius. Und zwischendurch nach Gusto
zu halten, um in einer kleinen Bar ein
Glas Chianti zu trinken oder in einsamen
Buchten zu baden.
Wer erinnert sich nicht noch an
die Freude und das Lachen von Audrey
Hepburn in „Roman Holiday“, die als
Prinzessin Ann von Joe Bradley alias
Gregory Peck auf einer Vespa durch
Rom gefahren wurde? Diesen Glücksmomenten
konnte man sich nicht
entziehen. Und gibt es überhaupt einen
Film, der in Italien spielt, in dem nicht
mindestens ein Darsteller auf einer
Vespa
herumfährt?
EIN ITALIENISCHES GEFÜHL
Romantikern empfehle ich, sich für
ein paar Stunden mit einem geliebten
Menschen eine Auszeit zu nehmen. Am
besten funktioniert das dort, wo Italien
so ganz den Träumen entspricht: an der
Amalfi-Küste.
Spätestens hier entdecken auch
die hartgesottensten Machos ihre
einfühlsame
Seite! Stellen Sie Ihre
Vespa irgendwo ab, merken Sie sich
aber ganz genau wo, denn Vespas sehen
auf den ersten Blick alle gleich aus.
Schlendern Sie durch die wunderschönen
Gärten, atmen Sie den Duft der
Rosen und Zitronen ein – entdecken Sie
mit all Ihren Sinnen das italienische
Gefühl. Umarmen Sie den Menschen
neben sich, denn hier sind Sie wirklich
am schönsten Ort der Welt.
Wenn Sie dann bei Mandolinen
und Mondschein ganz leicht beschwipst
die Rückfahrt antreten, werden Sie
sich unbeschreiblich reich fühlen und
sich noch sehr lang an diese magischen
Momente erinnern, die Ihnen Ihre romantische
Fahrt auf der Vespa bereitet
hat – meraviglioso!

TEXT BRUNO MACCALLINI

ILLUSTRATION © MARTIN HAAKE